Archäolog*innen in Hallstatt Abenteuerlustige Schatzsucher*innen? Interdisziplinäre Storyteller*innen? Oder hochspezialisierte Technologie-Nerds?
Die Salzwelten Hallstatt bieten nicht nur alle Zutaten für den perfekten Familienausflug, sondern außerdem eine mehr als 7.000jährige Geschichte des Salzabbaus im ältesten Bergwerk der Welt! Diese Geschichte wird in Hallstatt in Zusammenarbeit mit Archäolog*innen des Naturhistorischen Museums Wien erforscht. Doch, wer sind eigentlich die Menschen, die hier hunderte Meter tief im Berg und am Gräberfeld, nach Jahrtausende alten Spuren graben? Sind Archäolog*innen hollywoodreife Abenteurer*innen? Oder doch faktenorientierte Forscher*innen? Und vor allem: Was sagen uns Funde wie Knochen, Scherben und Exkremente? Können wir daraus etwas für das Heute und für die Zukunft lernen?
Der Archäologe Dr. Hans Reschreiter hat unsere Fragen beantwortet …
Zur Person
Dr. Hans Reschreiter
Dr. Hans Reschreiter leitet die Ausgrabung und Forschung im prähistorischen Salzbergwerk Hallstatt und erforscht die hiesige historische Bergbaulandschaft. Außerdem betreut der Wissenschaftler die Sammlung Prähistorischer Bergbau am Naturhistorischen Museum Wien.
Herr Dr. Reschreiter, diesen Sommer kommt der neue Indiana Jones-Film in die Kinos.
Der fünfte Teil der Filmreihe, in der sich ein Archäologe auf abenteuerliche Schatzsuchen und Verfolgungsjagden begibt.
Darf man Sie als Schatzsucher bezeichnen?
Ja und nein. Wir arbeiten natürlich nicht wie Indiana Jones, aber wir sind schon auf der Suche nach Wissensschätzen und gerade davon gibt es im Hallstätter Salzberg eine ganze Menge. Das Salz im Inneren des Berges hat vieles über Jahrtausende perfekt konserviert, das wir normal als Archäolog*innen gar nicht finden könnten – also wahre Schätze – und die suchen und analysieren wir. Die Erforschung dieser Schätze ist schon oft wie ein Krimi oder ein Abenteuer. Da gibt es viele Hürden zu nehmen und oft auch Rückschläge.
Fast immer werden Archäolog*innen als Abenteurer*innen präsentiert.
Wird das dieser Wissenschaft gerecht?
Als Archäologe hundert Meter tief im Inneren eines Berges zu arbeiten, ist schon ein Abenteuer. Aber wir sind keine Abenteurer*innen – wir sind Forscher*innen! Forschen kann oft ein Abenteuer sein, wenn man ganz neue Bereiche und Themen betritt. Forschen ist aber auch ein echter Knochenjob.
Im 18. und 19. Jahrhundert hatten Archäolog*innen vor allem die Aufgabe, die imperialen Museen
in Berlin, London und Paris mit Fundstücken zu füllen.
Später ging es eher um kunstgeschichtliche Fragen. Worum dreht sich die Forschung heute?
In Hallstatt haben wir die Möglichkeit, durch das Zusammenführen der Daten, die wir aus den prähistorischen und historischen Bergwerken, aus den Archiven in Hallstatt, Linz und Wien, aus den Gräbern der prähistorischen Bergleute und aus den besonders aufschlussreichen Umweltarchiven haben, über 7.000 Jahre Salzproduktion nachvollziehen zu können. Wir bekommen Einblicke in vergangene Lebens- und Arbeitswelten in einer Detailgenauigkeit, wie sie andere Forschungsgruppen nicht erzielen können.
- Wir erforschen das Entstehen und den Wandel einer Kulturlandschaft von der Eiszeit bis heute und wollen verstehen, wie sich die Mensch-Umwelt-Beziehung in den letzten Jahrtausenden verändert hat.
- Die Salzproduktion im Salzkammergut war in den letzten Jahrtausenden mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Klimakrisen, Naturkatastrophen, politischen, religiösen und gesellschaftlichen Umwälzungen, militärischen Invasionen, Ressourcenverknappung, Seuchen und vielem mehr. Trotz dieser widrigen Rahmenbedingungen wurde die Salzproduktion von der Steinzeit bis heute nicht länger unterbrochen. Wir erforschen, welche Strukturen und Netzwerke notwendig sind, um eine Salz-Gemeinschaft zu haben, die allen Herausforderungen gewachsen war. Auch heute sind wir mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert: Krieg, Klimakrise, Ressourcenverknappung. Wir brauchen auch heute stabile Strukturen, um in die Zukunft gehen zu können – können wir da aus der Salzgeschichte lernen?
- Wir sehen rund ums Salz eine Industrie, die bereits vor 3.200 Jahren das Limit der Ressource Wald bzw. Holz erkannt – und auch akzeptiert – hat. Es scheint so, als wären die Wälder im Salzkammergut trotz des unheimlichen Holzbedarfs der Saline über Jahrtausende nachhaltig und vorausschauend bewirtschaftet worden – bis heute. Wir wollen wissen, warum im Salzkammergut ganz anders gewirtschaftet wurde – als in anderen Bergbaurevieren.
- Ressourcenverknappung ist heute ein ständiges Thema. Wir sehen aber, dass bereits vor über 3.000 Jahren im Bergwerk in Hallstatt manche Rohstoffe für Werkzeuge und Verbrauchsmittel knapp werden und die Bergleute gezwungen sind, auf andere Ressourcen umzustellen. Wir erforschen den Umgang und die Verfügbarkeit von Ressourcen durch die Jahrtausende.
Was hat Sie dazu bewogen, Archäologe zu werden? Waren da Figuren wie Indiana Jones daran mit „Schuld“?
Das war bei mir reiner Zufall. Ich habe mich beim Trampen durch Österreich in dunkler Nacht schlafen gelegt – und wachte mitten in einer archäologischen Ausgrabung auf...
Ihr Fachbereich hat sich durch neue Technologien und Methoden, die früher nicht denkbar gewesen wären, stark verändert.
Welche finden Sie besonders eindrucksvoll?
Für mich sind es aktuell zwei Bereiche, die extrem spannend sind: In der Vermittlung ergeben sich völlig neue Möglichkeiten – durch VR und 3D gescannte Objekte können wir prähistorische Lebens- und Arbeitswelten, Systemzusammenhänge, die komplexe Mensch-Umwelt-Beziehung und ihre Erforschung in einer Art und Weise darstellen und vermitteln, wie das bisher nur schwer möglich war. Für die Kulturhauptstadt 2024 im Salzkammergut wollen wir ein virtuelles Museum zur einzigartigen Salzgeschichte entstehen lassen, in dem wir versuchen, die Möglichkeiten der neuen Vermittlungstechniken auszureizen.
In der Forschung erlauben es neue Technologien, immer tiefer in unsere Geschichte einzutauchen und zu verstehen, woher wir kommen und warum wir heute hier stehen, wo wir sind. Die Analyse von Sedimenten, von Farbstoffen und von Blütenstaub, DNA-Auswertungen und Protein-Analysen und viele weitere Methoden erlauben es, nun ganz neue Fragen zu stellen.
Archäologie wird in den letzten Jahren zunehmend inter- und transdisziplinärer – sprich:
die Zusammenarbeit mit Forscher*innen vieler, verschiedener Disziplinen wird immer wichtiger, um das große Ganze zu verstehen.
Was denken Sie, wie wird sich der Forschungsbereich und sein Stellenwert in Zukunft (weiter-)entwickeln?
Ja, unser Berufsbild hat sich stark verändert. Inzwischen sind wir mehr Wissenschaftskoordinator*innen als Forschende, die einsam mit einer Kelle auf einer Ausgrabungsstelle sitzen. Wir sehen uns in Hallstatt als Zukunftsforscher*innen: Wir erforschen die Vergangenheit, um zu wissen, woher wir kommen und was der Weg bis heute war – und um damit mehr Möglichkeiten denken zu können, wie der Weg in die Zukunft aussehen könnte.
Welche Hallstätter Objekte erzählen Ihrer Meinung nach die spannendsten Geschichten?
Und welche Geschichten sind das?
Das ist tatsächlich ein Stück Kacke – über 2.700 Jahre alte Kacke, zu der Archäolog*innen Exkrement sagen. Und warum ich das spannend finde? Weil Exkremente von Ernährung erzählen, von importierten Luxuslebensmitteln, von Krankheit und vielem mehr. In diesen Stücken finden wir z.B. den ältesten Blauschimmelkäse der Welt.
Spannend sind beispielsweise auch Bohrkerne: Beim ersten Hinsehen ist das nur Schlamm – die Sedimente, die am Boden des Hallstätter Sees abgelagert wurden. Aber mit Hilfe vieler Analysen können wir darin wie in einem Geschichtsbuch lesen: Wassertemperatur, Erdbeben, der Blütenstaub in ihnen ... und vieles mehr ist im Schlamm zu finden. In Zusammenarbeit mit unseren Forschungspartner*innen können wir in diesen Schlammschichten mehr als 10.000 Jahre zurück bis ans Ende der Eiszeit blicken, und haben die gesamte Entwicklung und Veränderung des Salzkammerguts seit damals darin gespeichert.
Was denken Sie, ist die zentrale Aufgabe der Archäologie in Hallstatt?
Wozu die ganzen anstrengenden Ausgrabungen und aufwändigen Analysen?
Sind ja ohnehin nur alte Knochen und wertlose Scherben… Was antworten Sie jemandem, der dieser Meinung ist?
Wir leben heute in einer total komplexen und vernetzten Welt, deren Mechanismen wir absolut nicht mehr vollständig erfassen können. Es geht heute mehr denn je um Konsum. Konsum bedingt, dass etwas vorher produziert werden muss. Produktion bedingt, dass Rohstoffe von Mensch und ihrer Arbeit mit Energieeinsatz verändert werden. Die fertigen Produkte werden dann rund um den Globus transportiert, dann verbraucht und es geht wieder von vorne los.
Die Gegend rund um Hallstatt ist ideal, um diese Mechanismen zu erforschen und zu vermitteln. Wir haben es hier mit einer Modellregion zu tun, in der es seit 7.000 Jahren um den Kreislauf aus Produktion, Ressourcen, Energie und Transport und Arbeit und Menschen und Umwelt geht. Im Salzkammergut können die grundlegenden Mechanismen unserer Gesellschaft auf die Basics heruntergebrochen, erforscht und vermittelt werden. Es ist total wichtig, die Zusammenhänge zu verstehen und zu akzeptieren. Alles, was wir konsumieren, egal ob eine Pizza, ein T-Shirt oder einen Film, den wie streamen – überall stecken Ressourcen, Menschen, Arbeit und meist viel Energie dahinter.
Mit jedem Konsum – egal ob Lebensmittel oder Internetsuche – sind wir ein aktiver Teil der Weltgemeinschaft und entscheiden, wie Rohstoffe und Energie eingesetzt werden und wie Menschen zu welchen Bedingungen arbeiten. Archäologie kann hier viel beitragen, diese globalen Netzwerke verständlicher zu machen und zu zeigen, wie alles zusammenhängt.
Was glauben Sie, würde von unserer Epoche übrig bleiben, wenn Menschen in der Zukunft sie archäologisch analysieren würden?
Es ist schon jetzt so, dass wir mit unserem ungehemmten Konsum den Planeten in wenigen Jahrzehnten total verändert haben. Forschende in der Zukunft werden in allen Sedimentschichten und in den entlegensten Gletschern und Meeren die Spuren des aktuell so massiven Wandels finden. Die Spuren der Klimaveränderung werden für kommenden Generationen ebenso auffällig sein, wie Mikroplastik, das bis in den letzten Winkel der Erde vordringt oder durch Rohstoffnutzung zerstörte Landstriche. In wenigen Jahrzehnten werden wir uns wundern, wie so hemmungsloses Zerstören der eigenen Lebensgrundlagen möglich war.
Lieber Herr Reschreiter, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Und noch eine abschließende Frage: Werden Sie sich den neuen Indiana Jones-Film anschauen?
Ja, den Film werde ich mir ansehen. Ich will ja wissen, welches Bild von unserer Arbeit im Kino vermittelt wird. Das Tolle für uns Archäolog*innen ist, dass inzwischen sehr viele sehr gute Dokumentationen über archäologische Arbeit im Netz und im TV angeboten werden. Es ist inzwischen gut bekannt, wie interdisziplinär wir arbeiten und die meisten gehen nicht mehr davon aus, dass wir Indiana Jones oder Lara Croft sind.
Sei live dabei: Archäologie für Insider
Wer noch mehr über die Arbeit der Archäolog*innen des Naturhistorischen Museums Wien in Hallstatt erfahren möchte, sollte einen Blick auf den Blog Hallstatt Research werfen. Da bist du mittendrin, statt nur dabei bei der Arbeit der Archäolog*innen!
Sommer 2023 Archäologie hautnah erleben
- 3. Juli – 4. August 2023: Mo –Do, 10:00 –16:00 Uhr
Den Archäolog*innen bei den Ausgrabungen am prähistorischen Gräberfeld über die Schulter schauen - 14. August –22. September 2023: Mo –Do, 10:00 –16:00 Uhr
Die Arbeit der Archäolog*innen und Restaurator*innen in der "Alte Schmiede" beobachten - 16. & 17. September 2023, 10:00 –17:00 Uhr
Archäologie am Berg: Einblicke in die Forschung bekommen, selber Salzsieden, ausgewählte Funde bestaunen - Juli & August: jeden Dienstag und Donnerstag, 10:00 Uhr
Sonderführung: Prähistorische Expedition - gemeinsam mit Archäolog*innen abseits der regulären Führungsstecke das älteste Salzbergwerk der Welt entdecken - Juli bis 10. September 2023
Angebot für Familien: Mit der Bronzezeit-Entdeckerkarte begibst du dich auf eine spannende Zeitreise im Hallstätter Hochtal
Infos zu allen Archäologie-Veranstaltungen im Sommer 2023 findest du hier